
Er ist ein engagierter Wissenschaftler und Autor, der sich intensiv mit den Themen nachhaltige Entwicklung, Klimawandel, Kultur und transformative Bildung im Himalaya beschäftigt hat. Er gründete 1992 zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus Österreich und Italien EcoHimal, die Gesellschaft für Zusammenarbeit Alpen-Himalaya, und ist deren Vorsitzender. Diese NGO–Schwesterorganisationen – gibt es auch in Südtirol, Italien, Deutschland, UK und Nepal – haben zum Ziel, die Lebensbedingungen in der Himalaya-Region nachhaltig zu verbessern und das in enger Zusammenarbeit mit den lokalen Gemeinschaften.
#schongenial: Was hat Sie zur Gründung von EcoHimal inspiriert, und welche besonderen Herausforderungen mussten Sie in den frühen Jahren der Organisation überwinden?
Kurt Luger: Als über 30-jähriger und schon als Assistent an der Uni Salzburg tätig, absolvierte ich 1983 meinen Zivildienst beim Österreichischen Informationsdienst für Entwicklungspolitik, heute als Südwind bekannt. Das forcierte mein Interesse an der Dritten Welt und das Engagement für eine gerechtere Welt. Nach Ende des Zivildienstes und dem Tod meines Vaters verbrachte ich einige Monate in Nepal, bevor ich an die Uni zurückkehrte. Als Alpinist war der Himalaya – im Fokus standen Nepal und Tibet – schon lange eine Sehnsuchtsdestination und ich reiste in der Folge jährlich dort hin, lernte hoch interessante Leute kennen, darunter die führenden Journalisten, Wissenschaftler, Architekten und Aktivisten im Sozial- und Kulturbereich. So eroberte ich das Land für mich und steckte meine Nase überall hinein. Ich schrieb Artikel über Land und Leute, über Entwicklungsprojekte, und kritisch auch über das Kraftwerk in den Wolken, das auf 4000 m mit österreichischer Finanzierung gebaut worden war. Da wusste ich noch nicht, dass ich einmal dafür Verantwortung tragen würde, denn 1992 gründete ich mit einer Gruppe engagierter Leute EcoHimal.
EcoHimal startete seine Arbeit im Himalaya mit dem Kleinkraftwerk bei Namche Bazar im Mount Everest/Sagarmatha Nationalpark – also im Schatten des höchsten Berges der Welt. Wir hatten den Auftrag, ein schlüsselfertig übergebenes Kraftwerk zum Laufen zu bringen, d.h. die Ausbildung der Mitarbeiter – alle aus der Volksgruppe der Sherpa – zu organisieren, einen Businessplan zu schreiben und soziale Stromtarife festzulegen. Dies gelang uns letztlich sehr gut, mit sehr viel Hingabe und reichlich Sachverstand. Wir führten harte Diskussionen, die manche Freundschaft in Frage stellten in unserer Gruppe, und nicht enden wollende Verhandlungen mit den Leuten vor Ort. 1995 wurde das Kraftwerk der Betreibergesellschaft überantwortet und mit seiner partizipativen Verwaltung – die Khumbu Bijuli Company besteht im Wesentlichen aus den Nutzergruppen der drei Gemeinden, die von Strom aus dem Kraftwerk versorgt werden – wurde es als Modellbeispiel für dezentrale und selbstverwaltete Energiegewinnung von der National Planning Commission in höchsten Tönen gelobt.
Im österreichischen Außenministerium war man angetan, dass wir die Herausforderungen so gut gemeistert hatten und man lud uns ein, ein anderes Projekt zu realisieren, eines, das wir auf unserer Prioritätenliste hatten. So starteten wir im Makalu-Barun Nationalpark bzw. in dessen Pufferzone ein land- bzw. agroforstwirtschaftliches Entwicklungsprojekt, dem weitere in anderen entlegenen Regionen folgten. Heute betreibt EcoHimal Nepal ein Netz von 14 agroforstwirtschaftlichen Ressourcen- und Schulungszentren verteilt über das ganze Land, gesteuert von der National Agroforest Academy, die auch eine Modellfarm auf den Terrassen eines Bergrückens außerhalb des Kathmandutales betreibt.
#schongenial: Welche zentralen Ziele verfolgt EcoHimal in den Himalaya-Regionen, und wie hat sich die Struktur und der Fokus der Organisation seit ihrer Gründung entwickelt?
Kurt Luger: EcoHimal hat als gemeinnütziger Verein und internationale Nichtregierungsorganisation den Sitz in Salzburg und arbeitet in der Region Hindukusch-Himalaya mit lokalen Basisgruppen zusammen. Die Entwicklungsprojekte von EcoHimal sind stark partizipativ, orientieren sich primär an den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen und an den bewährten Prinzipien der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.
Die Projekte in Nepal werden von EcoHimal Nepal umgesetzt, einer eigenständigen nationalen Schwester-NGO. Die Projekte in Kirgistan implementieren wir mit der nationalen Partnerorganisation Agents for Change und in Bhutan mit der Tarayana Foundation. Auch alle früheren Projekte – in Pakistan etwa der Wiederaufbau nach dem großen Erdbeben 2005 und in Tibet, wo wir einige Dutzend kleine Schulen in den Nomadengebieten bauten – wurden immer mit lokalen Organisationen zusammen realisiert.
Die Finanzierung der Projekte erfolgt durch Stiftungen, staatliche Einrichtungen, die Europäische Union, Wirtschaftspartner, Sponsoren und über private Spender.
Den Menschen im Himalaya langfristig bessere Lebensbedingungen zu ermöglichen, sie zu unterstützen, die Entwicklung ihrer Regionen in eigene Hände zu nehmen – das ist der Auftrag von EcoHimal. Der Kampf gegen Armut und der Schutz der Artenvielfalt, um damit das langfristig vernünftige Miteinander von Mensch und Natur zu garantieren – das sind die großen Aufgaben jeglicher Entwicklungszusammenarbeit. Alle unsere Projekte verfolgen auf integrative Weise soziale, humanitäre, ökologische, ökonomische und kulturelle Zielsetzungen, die gemeinsam mit den Einheimischen in regionalen Entwicklungsprojekten realisiert werden.
Unsere integrative Projektkonzeption ist fokussiert auf
- Armutsbekämpfung, Schaffung von Einkommen und angepasster Infrastruktur
- Geschlechtergerechte Gesundheitsvorsorge und transformative Bildung
- Schutz der Biodiversität und Agroforstwirtschaft
- Nachhaltige Regional- und Tourismusentwicklung
- Erhaltung des kulturellen Erbes
#schongenial: Wie verbinden Sie Ihre persönliche Leidenschaft für den Himalaya mit der praktischen Arbeit von EcoHimal, und was treibt Sie persönlich an, diese Arbeit fortzuführen?
Kurt Luger: Seit gut 40 Jahren ist der Himalaya unmittelbarer Teil meines Weltverständnisses und Bestandteil auch meiner akademischen Welt, denn nach der Habilitation am Fachbereich Kommunikationswissenschaft 1989 leitete ich bis 2017 die Abteilung Transkulturelle Kommunikation. In Nepal und in Tibet holte ich mir – in Arbeitsprozesse eingebunden, Verantwortung tragend für Budgets und die sachgemäße Verwendung von Steuermittel – die interkulturelle Praxis und Erfahrung, die ich dann auch in Forschung und Lehre an der Universität einbringen konnte – im Sinne einer kultur- und sozialwissenschaftlichen Sichtweise, die ich auf die Forschungsfelder Tourismus und Entwicklungspolitik anwenden konnte.
Im Laufe der 30 Jahre wuchs die Zahl der Projekte, es kamen neue entwicklungspolitische Bereiche dazu und führten letztlich zu der heute von uns gelebten Praxis der integrativen Projektkonzeption, wo ein Bereich in den anderen greift. Kreislaufwirtschaft, Suffizienz, Inklusion, Partizipation, Kompetenz, Nachhaltigkeit – das sind für uns keine Schlagworte, sondern unabdingbare Kriterien unserer Arbeit.
War ich früher viele Monate im Land, so genügt heute ein Aufenthalt von einem Monat. Durch neue Kommunikationstechnologien ist mittels Remote Controlling das Monitoring über ein Projekt möglich. Die Voraussetzung dafür ist aber kompetentes Projektmanagement vor Ort. Die Ownership eines Projekts muss bei den lokalen Handlungsträgern liegen, daher haben wir schon früh die Verantwortung in höchstem Maße an unsere Partnerorganisationen und die lokalen Akteure übertragen. Einheimische Experten und Expertinnen können so gut wie alles, nur an die europäischen Fördertöpfe kommen sie nicht ohne europäische Partner heran.
Auch nach über 30 Jahren verzaubert mich noch immer der Himalaya mit seinen bunten Volksgruppen, den bizarren kulturellen Praktiken und Riten, mit seinen unfassbar schönen Landschaften und dem bezaubernden Lächeln der jungen Frauen, auch wenn sie einen Korb mit 40 kg Maiskolben auf dem Rücken tragen. Mit den engagierten Männern und Frauen in den Dorfgemeinschaften zu arbeiten und dann zu sehen, wie aus einem dürren Landstrich eine grüne Oase von Gemüse und Obstbäumen entsteht, liefert die Gratifikation für manch Ungemach, das mit den Aufgaben einhergeht.
#schongenial: In welche Sustainable Development Goals (SDGs) der UNO zahlen die EcoHimal Projekte konkret ein?
Kurt Luger: Außer dem Ziel 14, Leben unter Wasser, sind alle Ziele für unsere Arbeit relevant und sind ja auch so zu verstehen, dass Projekte diese Zielsetzungen in ihrer Gesamtheit anstreben bzw. realisieren. Gemäß unserer Fokussierung bei der Arbeit ragen folgende Ziele wie die Achttausender aus dem Hochland von Tibet noch heraus:
1 Keine Armut, 2 Kein Hunger, 3 Gesundheit und Wohlergehen 4 Hochwertige Bildung 5 Geschlechtergerechtigkeit 6 Sauberes Wasser 7 Bezahlbare und saubere Energie 11 Nachhaltige Städte und Gemeinden 12 Nachhaltiger Konsum und Produktion 13 Maßnahmen zum Klimaschutz 14 Leben an Land 17 Partnerschaften zur Erreichung der Ziele.
#schongenial: Seit 2015 stehen Sie ja mit Rotary Clubs in Österreich, der Schweiz und Kathmandu im Rahmen des Wiederaufbaus nach dem Erdbeben in Nepal in Kontakt. Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Rotary International entwickelt?
Kurt Luger: Nach dem desaströsen Erdbeben 2015, das in ganz Nepal 9.000 Todesopfer forderte und 25.000 Schulklassen zerstörte, entstand über österreichische und Schweizer Rotary Clubs ein Projekt, das im Wesentlichen den Wiederaufbau eines komplett zerstörten Dorfes mit rd. 250 Häusern an der nepalesisch-tibetischen Grenze zum Ziel hatte. Rotary hat über matching funds die Finanzierung der Errichtung von Biogasanlagen übernommen, auch die Wiederaufforstung eines Gebietes am Rande des Dorfes zur Stabilisierung des Geländes wurde auf diese Weise möglich. Abgewickelt wurde das Projekt von EcoHimal Nepal in Kooperation mit dem Rotary Club Kathmandu Durbar Marg, wobei der geschäftsführende Direktor von EcoHimal Nepal auch Rotarier ist, somit eine exzellente Arbeitsbasis vorhanden war.
In der Folge haben wir von EcoHimal immer wieder die Zusammenarbeit mit Rotary Clubs gesucht und auch drei Schulen zusammen errichtet. Der Wiederaufbau von zerstörten Schulen nach dem Erdbeben war für etwa zehn Jahre eine wichtige Aufgabe für EcoHimal und mit verschiedenen Partnern haben wir 43 erdbebensichere Schulen errichtet oder saniert. Auch heute sind Schulprojekte zentraler Bestandteil unserer Projektarbeit, nicht zuletzt mit der Kampagne „Der Weg aus der Armut ist der Schulweg“, mit der wir armutsbetroffenen Kindern und Jugendlichen eine Schulbildung ermöglichen.
#schongenial: Welche Synergien sehen Sie zwischen den Werten von EcoHimal und den Grundprinzipien von Rotary, und wie können solche Partnerschaften aus Ihrer Sicht noch effektiver gestaltet werden?
Kurt Luger: Die Zielsetzungen überschneiden sich weitgehend, daher bin ich sehr angetan von solchen Kooperationen. Aber: Nicht alle Rotarier sind auch Fachleute bei entwicklungspolitischen Fragestellungen oder haben ein profundes Verständnis für die Zusammenhänge in den entlegensten Ecken der Welt. Daher ist die Zusammenarbeit mit den lokalen Rotaryclubs auch unabdingbar notwendig. Aber selbst das ist noch keine Garantie, dass ein Projekt kompetent abgewickelt wird. Rotarier sind ehrenamtlich tätig, im Zweifelsfall sind die eigenen beruflichen Herausforderungen drängender als der Abschluss eines Projekts.
Ich plädiere daher – wie das in unserem Projekt Duguna Ghadi, dem Wiederaufbau des Dorfes und der Kooperation mit anderen Partnern der Fall war – für die Übertragung der Projektverantwortung an geeignete NGOs oder Firmen mit entsprechender fachlicher Expertise. Gewährleistet sein muss allerdings die vollständige Einbindung aller Projektpartner und der lokalen Bevölkerung in alle wesentlichen Entscheidungen. Ein partizipatorischer Vorgang über die Projektkonzeption muss dem vorausgehen. Rotary sehe ich in der Rolle des Financiers, zuständig auch für Controlling und natürlich eingebunden in die Ausarbeitung des Projekts. Die Abwicklung sollte aber nicht auf Freiwilligkeit basieren, jedenfalls ist das meine Erfahrung, denn wie kann ich jemand zur Rechenschaft ziehen, der Prioritäten setzen muss und eventuell seine eigene Firma deswegen vernachlässigen müsste? Es bleibt auch so genügend Spielraum, um dem Projekt ein Rotary-Image zu geben oder die humanitären, sozialen, kulturellen und ethischen Motive sichtbar werden zu lassen, die mit den Rotary-Werten assoziiert werden.
#schongenial: Abschließend, was würden Sie dem 25-jährigen Kurt Luger gerne mitgeben, der sich für die Fragen der Ökologie und Nachhaltigkeit insbesondere in fernen Ländern interessiert?
Kurt Luger: Die Länder im globalen Süden baden aus, was wir hier im Laufe der vergangenen 70 Jahre mit dem Planeten angestellt haben – und noch anstellen werden! Es braucht – um dem Klimawandel halbwegs Einhalt zu gebieten – eine rasche Änderung unserer Lebensweisen hier und gleichzeitig die Unterstützung der Menschen im Süden, um mit diesem Wandel besser umgehen zu können.
Das sehe ich heute nicht anders als damals. EcoHimal gründeten wir vor Rio 92, also noch vor dem Weltklimagipfel, das Thema war damals aber noch nicht so dominant wie heute. Ich war um die 40, nicht radikal, aber überzeugt davon, dass die Ausbeutung der planetaren Ressourcen drastische Folgen haben wird. Der 25-jährige würde vielleicht ungestümer reagiert haben, hätte sich vielleicht vor dem Kanzleramt oder vor dem Landwirtschaftsministerium an einen Lichtmast gebunden, mit einem Transparent in der Hand. Aber das ist letztlich nur ein Ballen der Faust im Sack – und angesichts der Aussichtslosigkeit im globalen Kontext nur politisches Sackhüpfen. Solidarität mit den Armen zeigen – Carlos Fonseca, der Poet der sandinistischen Revolution, meinte, dass Solidarität die Zärtlichkeit der Völker sei – darf nicht im Symbolischen bleiben, man muss also selbst Hand anlegen und die Zusammenhänge auch in die Öffentlichkeit bringen. Letztlich schmelzen die Gletscher hier wie dort, sind die Bergbewohner ähnlichen Bedrohungen ausgesetzt und so lässt sich eine interkulturelle Brücke zwischen den Alpen und dem Himalaya, den Menschen da und dort herstellen. Auf diese Weise lässt sich auch das entwicklungspolitische Bewusstsein etwas schärfen und wir erkennen, dass wir Zeitgenossen sind und in einer Nachbarschaft leben.
Einem 25-jährigen könnte man mitgeben, was der großartige deutsche Filmemacher Edgar Reitz in seinem Buch Heimat – Weggehen um anzukommen geschrieben hat.
„Wir sind nicht Menschen, die auf der ganzen Erde zu Hause sein können… Aber wir lernen in diesen Jahren, dass wir mit allen Menschen auf diesem Globus die Zeit gemeinsam haben. Wir sind Zeitgenossen der entferntesten Menschen. Das erzeugt ein neues Gefühl eines neuen Raumes, der ein Zeit-Raum ist.“
